Lucas Erni (Désiré) und Chiara Scaronne (Aurora) – Fotos: Altin Kaftira
Nichts mit romantischem Kuss. Ein Wecker holt schnöde Dornröschen aus dem 100-jährigen Schlaf. So will es Reinopern-Ballettdirektorin Bridget Breiner als Choreographin eines der beliebtesten Klassikers, von Peter I. Tschaikowky im ausgehenden 19. Jahrhundert komponiert und vom Ballettgranden Marius Petipa choreographiert.
Den Kuss gibt’s am Schluss zwar noch, doch Dornröschen alias Aurora setzt selbstbewusst und hellwach ein Bussi auf Désirés Lippen. Nah am Märchen der Gebrüder Grimm hat Breiner inszeniert. Da verzeihen ihr auch erzkonservative Traditionalisten ein paar Eingriffe in die Fabel: dass nämlich ein Erzähler (Alejandro Azorin) tanzend durch die Geschichte führt, dass Désiré (Lucas Erni) kein Prinz ist, sondern ein kleiner Junge, der die Märchenwelt kennenlernt. So wächst er buchstäblich mit Dornröschen/Aurora (Chiara Scarrone) heran und in das Märchen hinein. Beispiel also für eine mehr als gelungene Identifikation – wenn er auch in Breiners Version kein Prinz sein darf, sondern Spross der nicht wirklich bösen Carabosse (Sophie Martin) ist. Dafür bleibt Aurora heiß ersehnte Tochter des Königspaares (Orazio Di Bella /Balkiya Zhanburchinova), auch wenn sie sich letztlich nicht an das märchenhaft vorgesehene Happy End des Hofprotokolls und der Brüder Grimm hält. Sie geht unter Goldkonfetti zum letztlich guten Schluss mit Désiré selbstbewusst in die Zukunft – wie immer die aussehen mag.
„Held gesucht“ – das Publikum kichert
Bridget Breiner sieht das alles nicht so eng: So schickt sie nach der Pause Fliederchen (Elisabeth Vincenti) als eine der weisen Frauen in den Zuschauersaal – mit mehrsprachigen Demo-Tafeln „Held gesucht“, der Held nämlich, der Dornröschen aus dem ewigen Schlaf holen soll. Das Publikum quittiert’s erwartungsgemäß mit Schmunzeln und Kichern.
Von aktualisierenden Eingriffen blieb Tschaikowskys herrliche Musik weitgehend verschont. Evergreens wie Walzer und Rosen-Adagio servierten die Düsseldorfer Symphoniker gekonnt mit sattem Timbre, ebenso wie das vom jungen Komponisten Tom Smith neu geschaffene Stück nach Auroras Aufwachen. Ein Sturm der Gefühle unterstellt er der ohne Kuss Erwachten. Schließlich ist es ja durchaus erschreckend, sich nach komatösem Schlaf auf einmal in der rauen Wirklickeit wiederzufinden, noch dazu geweckt durch rabiates Weckerklingeln. Smith hat Auroras mögliche Seelenstürme diskret und sensibel auf Tschaikowsky-Motivik und -Thematik aufgebaut. Für Orchester und Dirigentin Yura Yang ebenso angenehm zu integrieren wie für Choreographin Breiner.
Die arbeitet weitgehend mit klassischer Ballettsprache, von der Compagnie und ihren Solisten professionell umgesetzt zum wohltuenden Augenschmaus fürs Publikum. Dazu trug auch Jürgen Franz Kirner bei, verantwortlich für Bühnenbild und Kostüme. Da fehlte der sagenumwobene Rosenstock ebenso wenig wie pastellige, federleichte Ballerinen-Röcke.
Grund genug also für viel Szenenapplaus und hefigen Schlussbeifall des Publikums, über den sich die Choreographin mit ihrem Team und ihrer Compagnie, aber ebenso die romantisch aufspielenden Düsseldorfer Symphoniker unter ihrer Dirigentin Yura Yang freuen durften.
Infos und weitere Vorstellungen unter www.operamrhein.de
