Der „Holländer“ als Leinwand-Star – Bejubelte Wagner-Premiere in Düsseldorf
Juni 20, 2024
Wagner habe die erste Filmmusik geschrieben, heißt es oft leicht spöttisch über sein Oper-Gesamtkunstwerk, für dessen angemessene Realisierung er sich das Festspielhaus in Bayreuth bauen ließ – bis heute Pilgerstätte der Fans des Meisters. Bis ins Detail hat er die Szenen beschrieben und zusätzlich zur Komposition auch den gesamten Operntext verfasst. Wie viel Freiraum ein solches Konzept dennoch der Inszenierung lässt, kann man an „Der fliegende Holländer“ sehen. Nach dem Duisburger Haus der Rheinoper hatte Richard Wagners Frühwerk nun auch in Düsseldorf bejubelte Premiere.
Denn Regisseur Vasily Barkhatov hat sich eine faszinierende Lösung für die Sage und deren Düsternis ausgedacht. Den seit Ewigkeiten auf der Suche nach der ewigen, wahren Liebe über die Meere segelnden Holländer macht er kurzerhand zum Filmhelden und verfrachtet die Protagonisten ins Kino.
So sehen die Zuschauer im Opernsaal ihr Pendant im Kinosaal, das dem Film „Der fliegende Holländer“ auf der Leinwand folgt. Die Bühne ist also bereits vor dem Beginn der Ouvertüre offen. Und während die Operngäste Platz nehmen, trudelt auch das Kinopublikum ein. In der ersten Reihe ein kleines Mädchen namens Senta, das den Film wieder und wieder sieht. Denn dem Star, dem „Holländer“, ist sie verfallen. Eine Traumliebe, die sie auch als Erwachsene nicht loslässt. Sie kennt die Story um den „bleichen Mann“, der nur alle sieben Jahre an Land darf mit der Maßgabe, eine Frau, treu bis in den Tod, zu finden und damit vom unendlichen Segel-Marathon erlöst zu sein. Klar, dass sie jene Einzige, zu lebenslanger, unverbrüchlicher Treue Fähige ist!
Rudelgucken auf XXL-Monitor
Wie sehr dieses konventionelle Bild der Frau als Erlöserin des ewig suchenden Mannes auch in unsere Zeit passt, zeigt Regisseur Barkhatov in bunten Szenen: Kinderkarussell, Döner-Bude, Einkaufsstraße, gefüllt mit Menschen, mit ihrem Handy beschäftigt oder beim Rudelgucken auf den XXL-Monitor, wo ein Fußballspiel übertragen wird.
Kreativ austoben dürfen sich dabei auch Bühnenbildner Zinovy Margolin, Kostümbildnerin Olga Shaishmelashvili und Alexander Sivaev, der für Lichtdesign und Video und damit auch fürs Düstere, Unheilvolle zuständig ist.
Volle Bühnen-Power also für die Chor-Oper mit ihren sechs Solisten. Der scheidende GMD Axel Kober hat das Gewimmel gut im Griff und inspiriert die Düsseldorfer Symphoniker nicht nur zu Wagner-Tutti mit Pauken und Trompeten, sondern auch zu lyrischem Klangteppich für Solisten und Chor. Mit Michael Volle als Holländer ist ein internationaler Sänger-Star zu hören, der mit sattem, samtigen Bariton und intelligenter Spielfreude Sentas Herz wie auch das des Publikums im Sturm erobert. Regisseur Barkhatov lässt Gabriela Scherer als Senta so gut wie nicht von der Bühne. Ein Kraftakt, den die Sopranistin sängerisch wie darstellerisch meistert. Bogdan Taloş ist ein stimmschöner Daland, der als Sentas Vater auch seine materiellen Interessen am Deal mit dem Holländer deutlich akzentuiert. David Fischer als Steuermann merkt man seinen anstrengenden Job nicht an. Anna Harveys schöner Mezzo lässt bedauern, dass sie als Mary nicht mehr zu tun hat. Jussi Myllys widerspricht mit kräftigem Tenor als Erik dem Vorurteil, dass Sentas Verlobter eher langweilig sei und gegen den Holländer sowieso keine Chance habe. Großer Auftritt für den Chor, der, sorgsam einstudiert von Patrick Francis Chestnut, mit beeindruckendem Durchhaltevermögen die Holländer-Klippen umschifft. Großer Jubel nach einem fulminanten Premierenabend.
Auch in der nächsten Spielzeit gibt’s das Wagner-Epos zu sehen. Infos unter www.operamrhein.de
Gisela Rudolph
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