Nabucco – Freiheit nicht nur der Gedanken – Bejubelte Saison-Eröffnung der Rheinoper

September 23, 2024

Einen Vorwurf kann man Ilaria Lanzino sicher nicht machen: dass sie statuarisch inszeniere. Zwar hat Giuseppe Verdi Nabucco als personalmächtige Choroper, die Mitte September im Düsseldorfer Haus der Rheinoper Premiere hatte, geschrieben. Damit müssen Regisseure erst mal zurecht kommen. Hingegen hält Ilaria Lanzino das riesige Ensemble auf der Bühne immer in Trab, sie will individuelle Geschichten in der großen Nabucco-Geschichte zeigen. Und das Publikum hat so viel zu schauen, dass es kaum hinterher kommt.Wie im Wimmelbild  wuselt es nahezu an jeder Ecke und auf allen Ebenen der geteilten Bühne (Dorota Caro Karolczak), oftmals noch verstärkt durch Spiegelreflektion und Videokulisse (Andreas Etter, Fabio Stoll). So ist die Masse des Volkes unten platziert, auf das die Protagonisten symbolträchtig von der Galerie hinabschauen.

Die junge, erfolgreiche Regisseurin Lanzino, im italienischen Pisa geboren, verleiht der Geschichte um den Krieg des babylonischen Herrschers Nabucco gegen die Hebräer und ihren Hohepriester Zaccaria eine eigene, zeitgemäße Handschrift. Da werden Hochhäuser zerbombt, als seien dies Fernsehbilder aus Putins Krieg gegen die Ukraine. Da dominiert den Palast der Mächtigen ein langer ovaler Tisch, wie man ihn aus Putins Kreml zu kennen glaubt.

 

Eher Heerführer als Hohepriester

 

Interessanter als solch optische Reminiszenzen ist Lanzinos Deutung, die in Verdis Libretto gelinde eingreift: Zaccaria ist eher ein Heerführer als ein Hohepriester, die beiden Völker sind Spielbälle seines wie Nabuccos Machtstrebens und dem kriegerischen Treiben hilflos ausgeliefert. So singen sie gemeinsam den im Original den Hebräern vorbehaltenen Gefangenenchor „Va, pensiero“, bis heute als heimliche Nationalhymne Italiens gefeiert. Die Sehnsucht nach Freiheit nicht nur der Gedanken demonstrieren sie, indem sie sich über alle Barrieren und Barrikaden hinweg die Hände reichen. Diese schöne Regie-Idee setzt Düsseldorfs neuer Orchester-Chef Vitali Alekseenok mit moderater Dynamik um: Der berühmte Chor klingt eher wie ein Choral, ein Glaubensbekenntnis. Leider tritt die leidenschaftliche Orchestrierung Verdis, die den Beschwörungscharakter eigentlich so wundervoll unterstreicht, dabei etwas in den Hintergrund.

Den Verdi-Rumms will der erst 33-jährige Dirigent aus Belarus sowieso nicht bedienen. Dafür beschäftigt er sich, ähnlich wie Ilaria Lanzino in ihrer Inszenierung, lieber mit den Details der Partitur und verleiht ihr Transparenz. Das ist gut für die Protagonisten. So müssen weder Alexey Zelenkov als Titelfigur Nabucco noch Liang Li als Zaccaria und Eduardo Aladrén als Ismaele über das Orchester hinweg schreien, sondern können ihren schönen Stimmen die entsprechende Kultur angedeihen lassen.

Besonders für Svetlana Kasyan als Abigaille, Nabuccos adoptierte Tochter und für manche eigentliche Hauptakteurin, ist Alekseenoks zurückhaltende Dynamik von Vorteil. Ihre atemberaubenden Arien mit Spitzentönen in den höchsten Höhen und via Koloratur bis in die tiefsten Tiefen werden nicht zum Sängerwettstreit  mit dem Orchester, sondern veranschaulichen in ihrer Dramatik auch den Seelenzustand der Abigaille. So soll’s sein. Eine wundervoll singende und spielende Fenena, wirkliche Tochter Nabuccos, bot Kimberley Boettger-Soller.

Opern- und Extrachor vermochten es – auch dies wiederum ein Kompliment an die Regisseurin – trotz der Wimmelauftritte mit sprichwörtlichem Massenandrang individuelles Profil mit feinen Detailzeichnungen zu vermitteln. Patrick Francis Chestnut sorgte für beste stimmliche Konditionierung seines Chores bei bewundernswürdiger Spielfreude.

Ein begeistertes Publikum lohnte dem gewaltigen Bühnenensemble, dem Regieteam und dem Orchester die gelungene Spielzeit-Eröffnung mit ausdauerndem Jubel. Für Chefdirigent Vitali Alekseenok ein vielversprechendes Debüt in seiner neuen Position.

Weitere Termine unter www.operamrhein.de

Gisela Rudolph