Alles ist möglich – Ballett-Premiere „Giselle“ in der Rheinoper
Juni 19, 2023
„Giselle“ Futaba Ishizaki und Bathilde Doris Becker – Foto: Bettina Stöß
Die deutlichen Buhrufe, die sich unter den Jubel beim Schlussapplaus der Ballett-Premiere „Giselle“ in der Düsseldorfer Rheinoper mischten, verbuchte Choreograph und Ballett-Chef Demis Volpi für seine Lesart des berühmten Handlungsballetts so: Das zeige, „wie wichtig das Stück ist“, verkündete er auf der Premierenfeier. Denn nicht der als Bauer verkleidete Adelige Albrecht (Daniele Bonelli), sondern seine Verlobte Bathilde (Doris Becker) scheint das Herz des Bauernmädchens Giselle (Futaba Ishizaki) zu erobern. Klar, dass das dem traditionellen Libretto zur Musik Adolphe Adams entgegengesetzt ist. Denn eigentlich sind Giselle und Albrecht ein Liebespaar. Deshalb gibt sich der Hochwohlgeborene als Bauer aus. Keine Ahnung hat Giselle von all dem, schon gar nicht, dass Bathilde offiziell mit Albrecht verlobt ist. Die hat das Herz am rechten Fleck in der originalen Story: Dort wendet sie sich liebevoll der kleinen Giselle zu, als die Bathildes kostbaren Umhang bestaunt, und schenkt ihr sogar ihre Kette.
Möglicherweise hat sich Volpi davon inspirieren lassen, mehr als nur zarte freundschaftliche Bande zwischen den beiden ungleichen Frauen hineinzudichten. Eine nette Rahmenstory hat sich Volpi dazu einfallen lassen: Hinter den Kulissen einer „Giselle“-Vorstellung trifft Bathilde auf die zarte Primaballerina, die sie in ihr „Universum“ – so das Programmheft – entführt. Die Bühne auf der Bühne, ein vielfach erprobtes Konzept, bewährt sich auch hier. Es gibt Raum für moderne und klassische Tanzstile, auch die hinreißende, weltberühmte Giselle-Variation im 1. Akt fehlt nicht. Und Volpi gelingt auch die Rolle rückwärts in die originale Erzählung: Dort wird Giselle wahnsinnig angesichts der wahren Identität Albrechts und seiner Ehefrau in spe, Bathilde. Kein Kunststück, das auf die aufflammende Liebe zu Bathilde zu übertragen, die Giselle verlässt, um mit Albrecht in ihr aristokratisches Leben zurückzukehren.
Männer im Tutu
Im zweiten Akt, dem der „Wilis“, jener betrogenen Bräute, die sich zu Tode getanzt haben, scheut Volpi sich nicht davor, Tänzern Tutus überzustreifen. Denn die Wilis sind in seiner Lesart geschlechtslose Wesen – Männer sind Frauen, Frauen auch Männer, alles ist möglich. Auch wenn es sich hier um edle, perfekte Tänzerkörper handelt, kommen dem einen oder anderen Zuschauer die Assoziation zu Männern im Tüllröckchen als Lachnummer von Karnevalsveranstaltungen…
Wie im Original-Stück ist Giselle tot und tanzt als neue Wili im Corps der Wilis, die ihr nun buchstäblich bis aufs Haar gleichen, indem sie alle Giselles Frisur tragen. Bathilde ist eine alte Dame geworden und sinnt auf einer Bank am Grab Giselles über die ungelebte Liebe. Passend zum unglücklich Liebenden aus Schuberts Winterreise: „…nun sitz’ ich hier alleine und denke dem Traume nach….“
Zu Adolphe Adams im besten Sinne romantischer Musik passt das alles gut, zumal die Düsseldorfer Symphoniker unter Mark Rohde wie immer bestens für große Gefühle disponiert sind. Gleichgeschechtliche Liebe, Queerness aller Art, das bunte Leben eben sind glücklicher Weise längst gesellschaftlich nicht nur respektiert, sondern auch akzeptiert. So sollte Demis Volpi Missfallensäußerungen des Publikums vielleicht weniger politisch, als vielmehr künstlerisch kritisch sehen. Denn was spricht gegen eine Hetero-Liebesgeschichte, wie sie in der Erzählung original vorgesehen ist? Wie auch immer, zum Pride Month Juni passte die Premiere allemal.
Weitere Vorstellungen im Juni und auch in der neuen Spielzeit.
Gisela Rudolph
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