Bitte keine Panik vor der verwirrenden Nibelungensage. Die komplizierte Überlieferungsgeschichte sei gar nicht so wichtig, meint Hilsdorf. Zumal Wagner, Komponist und Librettist der Tetralogie, seine eigene, keineswegs werkgetreue Version der Story um Drachentöter Siegfried und Goldschatz liefere: „Die Zuschauer müssen nicht vorbereitet sein, sondern sollen genießen.“ Hilsdorf nennt Wagners „Ring“ eine „schäbige Familiengeschichte mit großer Orchestrierung“.
Im 19. Jahrhundert siedelt er die an, beginnt jedoch mit Heinrich Heines berühmter „Loreley“, die bei Wagner natürlich nicht vorkommt: „Ich weiß nicht, was soll es bedeuten“ zitiert Feuergott Loge – mit Betonung auf dem „es“. Da hat das Rheingold-Vorspiel noch nicht begonnen. Der ES-Dur-Akkord „auf dem Grunde des Rheins“, so Komponist und Librettist Richard Wagner, ist noch gar nicht erklungen. Eine Reminiszenz an den Juden Heine und Wagners Antisemitismus will Hilsdorf mit diesem eigenwilligen Beginn leisten – und vielleicht einen Hinweis auf die Aufgabe einer „Ring“-Inszenierung geben. Aber: „Wir sind nicht ideologisch“, charakterisiert er seine Arbeit. „Wagner ist der Chefideologe. Wir haben versucht, werkgetreu die Geschichte zu erzählen.“
Na ja, werkgetreu mit Einschränkung. Harnisch, Flügelhelm, Schild und Speer präsentiert er dem Zuschauer natürlich nicht. Die Rheintöchter haben die Nixen-Flossen mit Korsage, Straps und Stiefelchen vertauscht (Kostüme: Renate Schmitzer), passend zum Bordell oder Varieté-Theater. Für Letzteres spricht das Bühnen-Schaubild, mit Glühbirnen eingerahmt, die alle vier „Ring“-Abende das vertrackte Spiel um Macht, Liebe, Geld beleuchten (Bühnenbild: Dieter Richter) – Sex, Crime, Seifenoper halt.
Wie einen „Budenzauber“ empfindet Hilsdorf nicht nur das „Rheingold“. Die Sinne sollen aktiviert werden. „Nimm dir raus, was du siehst und hörst“, rät Hilsdorf dem Publikum.
Zu Hören gibt’s natürlich vieles, das bis heute Hit-Status erlangt hat. Das geht im „Rheingold“ von Alberichs Verfluchung der Liebe mit Raub des Goldes angesichts des Schindluders, das die Rheintöchter mit ihm treiben, bis hin zu Erdas Warnung „Weiche, Wotan, weiche“. „Die Walküre“ wartet dann im 3. Akt mit dem Walkürenritt auf, der seit Francis Ford Coppolas „Apocalypse Now“ zu Filmehren gekommen ist. Doch außer diesem Schlagerstück gibt’s im ersten Akt die berühmten „Wälse“-Rufe Siegmunds zu hören, die Beschwörung des Lenz im großangelegten Liebesduett von Siegmund und Sieglinde, deren Namensähnlichkeit bereits Dunkles ahnen lässt, Brünnhildes „Hojotoho“, und natürlich der Feuerzauber ganz am Schluss. Mit dem schließt Wotan sie auf einem Felsen ein als Strafe, weil sie Siegmund und Sieglinde, eigentlich ein Zwillingspaar, schützend unter ihre Fittiche genommen hat. Denn Inzest geht gar nicht.
Stoff genug für den Regisseur, in die bürgerliche Kiste des 19. Jahrhunderts zu greifen. Bereits im Vorspiel stellt Hilsdorf dar, warum Hunding und Sieglinde solch massive Eheprobleme haben. Für Familie Wotan inklusive der Walküren gibt’s im 2. Akt einen geräumigen Esstisch. Dass die Walküren, obwohl fein gewandet in roten Abendkleidern mit Pailletten-Bustier, martialische Kriegerinnen sind, die Tod und Teufel nicht scheuen, zeigt Hilsdorf im 3. Akt beim „Apocalypse Now“-Zitat: Da rattert der Hubschrauber, natürlich nur akustisch, durch den Zuschauersaal, bevor der Walkürenritt beginnt.
Also, Spannung ist garantiert. GMD Axel Kober am Pult der Düsseldorfer Symphoniker und das Sänger-Ensemble bereiten der opulenten Komposition Wagners sicherlich ein ebenso spannendes musikalisches Fest.
Und wem Wagner-Opern arg lang erscheinen, der darf zwischendurch „ruhig mal ein bisschen einnicken“, findet Regisseur Hilsdorf. Angesichts seiner Inszenierung geht er aber „jede Wette“ ein, dass niemand einschläft.
Karten unter 0211-8925211
Foto: Hans Jörg Michel
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