Von Wolfgang Röhl: Der Spuk der ’68er
März 14, 2008 by osi
Wolfgang Röhl*
Den 68ern ist heuer schwer zu entkommen. Der Gang durch eine Buchhandlung wird allmählich zum Spießrutenlauf – in allen Regalen lauern die Gespenster der Vergangenheit, zerren mit ihren gichtigen Klauen am Kunden. Kauf mich! Nein, mich! Der Qualm ihrer Selbstbeweihräucherung treibt einem schier die Tränen ins Gesicht. Im Fernsehen treten grau & füllig gewordene Veteranen des Straßenkampfes vom Schlage Gaston Salvatore auf und erklären, wie sie uns damals praktisch erst richtig vom Nazijoch befreiten. Oh I believe in yesterday!…
Zum Glück gibt es auch Konter. Zum Beispiel „Unser Kampf “, die Abrechnung des ehemaligen roten Helfers Götz Aly mit ´68. Seine Sittengeschichte des großen Bürgerkindergartens ist kenntnisreich geschrieben und in Teilen neu dokumentiert, leider recht humorfrei. Dabei brannte ´68 auch ein Feuerwerk von – allerdings unfreiwilligen – Witzen ab. Es gibt wohl keine Phase der deutschen Geschichte außerhalb der Nazizeit, in der so viele Verrückte, Gernegroße und Verblasene Schau liefen. Wer als Nachgeborener wissen will, wes Geistes Kind die Gallionsfiguren dieser Bewegung waren – in schick abgewetzte Lederjacken gewandete, kryptische Wortkaskaden emittierende Jungs mit angewachsenen Megaphonen, die damals vom liberalen Establishment total ernst genommen, ja hofiert wurden -, der kann das in einem Dokument des dialektischen Irrsinns nachlesen, welches im August 1968 im Zentralorgan der theoretisierenden Linken, dem „Kursbuch“, erschien. Aufbewahrt dank Web für alle Zeit.
Dieses „Gespräch über die Zukunft“ wurde 1967 geführt.
Die Ritter von der Schwafelrunde sind Rudi Dutschke, verstorben 1979, Bernd Rabehl, heute Rentner mit Nähe zur Ultrarechten und Christian Semler, ebenfalls Staatspensionist, immer noch irgendwie links gepolt. Moderiert wird das Gespräch von dem sympathischen Wendehals Hans Magnus Enzensberger. Auch der, heute kaum zu glauben, redete damals einen erstaunlichen Sums zusammen. Später tat er so, als habe er nichts oder doch nicht sehr viel zu tun gehabt mit dem Machtergreifungsphantasien der Studis.
Es geht in dem hoch wissenschaftlichen Diskurs („Mao sagt…“) um die künftige sozialistische Gesellschaft. Angestrebt war für den Anfang eine Art Freie Republik Westberlin, wo die Revoluzzer ein Regime nach dem Vorbild der Pariser Kommune errichten wollten. Wo die von den allzumeist aus Westdeutschland zugereisten Agitatoren (Götz Aly nennt den Typus „Krawallschwaben“) natürlich schwer begeisterten Berliner Arbeiter in selbst verwalteten Fabriken wirken & wohnen würden. Von wo man die parasitäre, nicht umerziehbare Bürokratenklasse (Rabehl: „Die verkrüppelten Frauen…gar nicht so ohne weiteres in der Produktion verwendbar“) einfach deportieren würde. Nach Madagaskar? So konkret waren die Pläne noch nicht. Aber Semler, der später beim deutschen Mao-Anbeter-Häuflein KPD/AO landete, wäre sicher was eingefallen.
Das da hätt´ einmal fast die Republik regiert? Na ja, nicht wirklich. Die Bürger wurden ihrer aufmüpfigen Kinder schnell wieder Herr, mittels Staatsknete für jedes Humbug-Projekt, systematischer Aufweichung von Leistungskriterien und gut dotierter, inflationär vergebener Professuren. Und doch. Stimmt schon, die Sache mit dem Schoß, der noch fruchtbar ist. Blick auf den Saarländer und seine Truppen genügt.
* Wolfgang Röhl ist Autor beim Stern. Der Beitrag erschien zuerst auf der Achse des Guten, wir veröffentlichen ihn mit seiner Genehmigung.
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