Der Fall Marco Weiss: Düsseldorfer Anwalt kritisiert türkische Justiz vor Verhandlung nächste Woche in Antalya
Oktober 19, 2007 by osi
Ion Makris
Der 17-jährige deutsche Schüler Marco Weiss sitzt seit knapp einem halben Jahr im Gefängnis. Anklage: Vergewaltigung. Der Gutachter entlastet ihn, die Aussage der 13-jährigen Britin, deren Eltern ihn angezeigt hatten, steht immer noch aus. Nach deutschen Maßstäben wäre Marco Weiss auf freiem Fuß. Darauf weist der Düsseldorfer Anwalt Ion Makris in einem Beitrag für den Düsseldorf Blog hin, in dem er den Fall analysiert:
Seit ziemlich genau sechs Monaten sitzt der 17-jährige Jugendliche Marco W. nun im türkischen Urlaubsort Antalya in Untersuchungshaft. Bald waren kritische Stimmen nicht mehr zu überhören. Angenommen wurde, bei einem vergleichbaren Vorfall in Deutschland wäre bei einem minderjährigen Tatverdächtigen Untersuchungshaft nicht angeordnet worden. In dieser Situation betrat eine Autorität die Bühne, nämlich Oberstaatsanwalt Frank der Präsident des Deutschen Richterbundes . In einem Interview wies er darauf hin, daß „sexueller Mißbrauch kein Bagatelldelikt“ ist.
Marco Weiss
Deshalb sei das Gericht in Antalya nicht umhin gekommen Untersuchungshaft anzuordnen. In einem gleichartigen Fall in Deutschland wäre dies auch der Fall. Denn auch hierzulande hätte der minderjährige Marco mit einer Jugendstrafe zu rechnen.
Beispielhaft für das folgende Rauschen im Blätterwald sei hier der Kommentar des Journalisten und Juristen Heribert Prantl genannt. Er meint wie Christoph Frank, von der deutschen Justiz würde ein gleichgelagerter Fall nicht anders als in der Türkei behandelt und warf den Kritikern der Inhaftierung des Schülers daher „Unberechtigte Empörung“ vor. Zu Recht ?
Eine Recherche zu § 176 StGB führt zu einer Stellungnahme des Richterbundes aus dem Jahre 2003 im Hinblick auf Reformbemühungen der damaligen Bundesregierung. Dort wird nicht populistisch die Keule der Höchststrafe von 10 Jahren (für Erwachsene) geschwenkt, sondern darauf hingewiesen, daß „Sexualkontakte von strafmündigen Jugendlichen mit Kindern an der Grenze zum Jugendalter im Unwertgehalt unterhalb einer Freiheitsstrafe von einem Jahr einzuordnen sind.“.
Eher kein Kindesmißbrauch
Was kompliziert klingt, ist es nicht: In der Sprache der Juristen weist der Richterbund darauf hin, dass für einen männlichen Jugendlichen ein Mädchen kurz vor dem 14. Geburtstag – bei aller Vorsicht vor dem Thema im Einzelfall – vielleicht nicht mehr als „Kind“ angesehen wird. So versteht die Öffentlichkeit jedenfalls einen einvernehmlichen Kontakt eines Siebzehnjährigen mit einer fast Vierzehnjährigen eher nicht als „sexuellen Kindesmißbrauch“. Deshalb wohl auch die vielfache – von Prantl und anderen als unberechtigt abgetane Empörung vieler über die Inhaftierung von Marco W.
Ein weiterer Blick in das Jugendgerichtsgesetz ist lohnend. Hier findet sich in § 21 ein Hinweis darauf, dass Jugendstrafen von nicht mehr als einem Jahr unter den genannten Voraussetzungen zur Bewährung ausgesetzt werden sollen. Nun ist Marco W., so mag eingewandt werden, aber erheblichen Vorwürfen ausgesetzt. Obwohl ein türkischer Arzt als Gerichtsgutachter davon ausging, von einer Vergewaltigung könne keine Rede sein, scheint das Gericht in Antalya deshalb auf eine dem widersprechende Aussage des jungen Mädchens vor einem englischen Gericht zu warten und hat deshalb den Prozesstermin wiederum vertagt auf den 26.10.2007.
Heribert Prantl schweigt
Marco W. wird zu diesem Zeitpunkt länger als ein halbes Jahr in Untersuchungshaft sein, kritisiert u.a. der Kriminologe Prof. Christian Pfeiffer. Und diejenigen, die das Vorgehen der türkischen Justiz mit Hinweis auf ähnliche Vorgehensweise in Deutschland entschuldigt haben, ducken sich jetzt weg.Die deutsche Justiz und die Politik lassen Marco W. Das Rauschen im Blätterwald hat aufgehört.
Und auch der Jurist Prantl schweigt – beschämt? – wegen seiner Fehleinschätzung.
Es ist absurd, Marco als gewöhnlichen Kinderschänder zu bezeichnen. Man kann kein Kinderschänder sein, wenn man selber fast ein Kind ist. Ein 17 –Jähriger, dessen Hormone unter der starken Sonne noch mehr kochen als sonst, nimmt jede Gelegenheit wahr, sie „abzukühlen“. Empfehlenswerter und weniger riskant (für ihn) wäre eine „One Night Stand“ mit einer reifen Frau. Für sie wiederum nicht, denn die bürgerliche Moral erträgt solche „Anomalien“ sehr schlecht. Mit einem 13- jährigen Teenie zu „knutschen“, ohne das zu wissen, kann ein verhängnisvolles Vergehen sein. Man muss tatsächlich ein schlechtes Karma haben, um dessen rechtliche Folgen zu erkennen. Andererseits ist eine vernünftige Kindheit keine Kindheit. Jedoch weiß die englische Provinz darüber nicht Bescheid. Da sind noch Nischen und Ecken, wo viktorianische Etikette und Moral zu hause sind.
Den Vorschlag, sich mit den Eltern vom „Opfer“ außergerichtlich zu verständigen, halte ich für unrealistisch. Marcos Eltern sind finanziell nicht so attraktiv wie z.B. Michael Jackson. Eine streng religiöse Familie wird sich schwer mit der verlorenen Ehre ihrer Tochter abfinden, besonders wenn der „Täter“ ein Deutscher ist. Ich gehe davon aus, dass nicht die Tochter sondern ihre frömmliche Mutti traumatisiert ist, und sie wird sicherlich kompromisslos sein, damit ihr Kind unbefleckt bleibt. Und wenn Marco ein Mittel dafür ist, dann wird es geheiligt. Ich mache mich zwar lustig über die Trivialität der von den Medien vermarkteten Geschichte, aber ich bin unparteiisch. Die Wahrheit kennen nur die beiden Jugendlichen. Ich frage mich nur, ob die türkische Justiz, die sich angeblich so schnell zivilisiert, auch so hartnäckig in Hunderten von ähnlichen Fällen in türkischen Dörfern ermitteln wird.
ronin