EU-Ausschussvorsitzender Herbert Reul: Emissionshandel wird Strom bis zu 50 Prozent teurer machen
November 7, 2009 by osi
CDU-Europaparlamentarier Herbert Reul, bis 2000 stellvertretender Fraktionsvorsitzender der CDU im Düsseldorfer Landtag und von 1991 bis 2003 Generalsekretär der CDU in Nordrhein-Westfalen, ist im Europaparlament Vorsitzender des Ausschusses für Industrie, Forschung und Energie. In einem Interview mit der hoch informativen Website EurActiv spricht Herbert Reul Tacheles. Er zeigt die Auswirkungen des Emissionshandels auf den Strompreis auf, liest der Regierung indirekt die Leviten, die erst auf Druck das Lissabon-Vertrag-Begleitbesetz herbeiführte und wundert sich, dass im Koalitionsvertrag nichts über den Neubau von Atomkraftwerken steht. Hier das komplette Interview, hier die wesentlichen Auszüge:
Zur Kritik Barrosos an der Berufung Oettingers:
Die Kommission soll sich da raus halten. Es geht die nichts an, wen die Mitgliedsstaaten vorschlagen. Barroso soll froh sein, dass er selbst bestätigt wurde. (…) Ich persönlich habe nicht mit Oettinger gerechnet, finde die Entscheidung aber gut. (…) Wir brauchen in den Bereichen Wirtschaft und Industrie eine starke Stimme, und hier ist Oettinger ein Fachmann. Er ist ein ‚Fleißiger‘ und schaut sich die Akten an. Er ist kein Sprücheklopfer.
Zum Klimaschutz in der EU:
Wir haben im letzten Jahr viele Beschlüsse im Bereich Klimaschutz gefasst, die riesige Kosten für die Bürger nach sich ziehen. Die Bürger haben das kaum wahrgenommen. Wenn sie das wüssten, würden sie das sicher kritisieren. Der Emissionshandel wird zum Beispiel zur Verteuerung des Stroms um bis zu 50 Prozent führen. Das hätte man mit einem anderen Modell effizienter und günstiger hinbekommen können. Ich bin mir sicher: Wenn die Bürger das gewusst und gesagt hätten: Wie wollen diese Mehrkosten nicht, dann wären wir zu einem anderen Ergebnis gekommen.
Zum Thema Atomenergie:
Erst mal: Die europäische Position ist klar. Jedes Land ist für seinen Energiemix selbst zuständig. Wir mischen uns nicht ein. Zweitens: Die Energieversorgung der Zukunft können wir nur mit allen Energiearten gewährleisten. Wir werden auf keine Energiequelle verzichten können. Für mich ist wichtig: Die Energieversorgung muss ausreichend und bezahlbar sein. Wir dürfen nicht völlig von Importen abhängig sein. Und wir müssen eine klimafreundliche Energie nutzen. Da gehört auch die Atomkraft dazu. Deshalb halte ich es für klug, sich in Deutschland die Laufzeitverlängerung der Atomkraftwerke offen zu halten. Der Koalitionsvertrag sieht (den Bau neuer Atomkraftwerke) nich vor: Für mich ist das inkonsequent. Wenn man sagt, Kernenergie ist erlaubt und sicher, muss man auch neue bauen dürfen.
Zum Solarstrom-Projekt Desertec:
Ich finde, dass Projekt sollte erforscht werden. Aber ich glaube nicht, dass es kurz oder mittelfristig eine Lösung für unsere Energieproblematik ist. Es ist ein Langzeitprojekt.
Zu möglichem Druck von der Solar-Lobby:
Die Solar-Lobby ist extrem gut vernetzt und sehr einflussreich. Sie hat es sowohl in Deutschland als auch in Europa geschafft, Gesetze massiv zu ihren Gunsten zu beeinflussen.
Zum „SET Plan“ der EU, die CO2-Abscheidung und -Speicherung (CCS), eine Technik, gegen die es in Deutschland Vorbehalte gibt, mit 13 Milliarden Euro fördern:
Wenn wir ein richtiges Energieknappheitsproblem in Europa bekommen, werden wir auf Kohle nicht verzichten können. Kohle ohne CCS ist für das Klima problematisch. Es wird also nur mit CCS gehen. Wir brauchen diese Technologie. Es ist allein schon sinnvoll, CCS zu entwickeln, wenn man sieht, wie viele Kohlekraftwerke in China gebaut werden. Grundsätzlich müssen wir uns fragen: Wollen wir in Deutschland eine Industrielandschaft haben oder nicht? Wenn wir uns dafür entscheiden, werden wir bestimmte Belastungen tragen müssen. Man kann nicht zu allem Nein sagen. In Deutschland und Europa ist hierzu eine Grundsatzdebatte fällig. In anderen Ländern wartet man nur darauf, dass Deutschland das Geld für die CCS-Erforschung nicht nimmt. In Polen, Niederlande und England ist die Begeisterung groß.
Zur Frage ob die Erforschung von Nukleartechnik, speziell der Kernfusion, die mit sieben Milliarden Euro gefördert wird, ein Milliardengrab sei.
Wenn sie Ja zu neuen Technologien sagen, lassen sie sich immer darauf ein, nicht zu wissen, wann und ob es klappt. Die Kernfusion klappt ja im Prinzip, die Frage ist nur ob zu vertretbaren Preisen. Sollte die Kernfusion realisierbar sein, hätten wir energiepolitisch keine Probleme mehr. Die Welt wäre endlos mit sicherer und klimafreundlicher Energie versorgt.
Zum Klimagipfel in Kopenhagen, der schon als gescheitert gelte:
Ich gehöre zu den realistischen Politikern. Es ist mir lieber, es gibt in Kopenhagen kein Ergebnis als ein schlechtes. Wir könnten auf diese Weise Zeit gewinnen, um ein gutes Ergebnis zu erreichen.
Zur Vereinbarkeit von Klimaschutz in Europa und Wettbewerbsfähigkeit
Das ist ein riesiges Problem. Ich habe große Sorge, dass wir uns alleine um das Problem kümmern, es aber nicht gelöst bekommen, weil die anderen nicht mitziehen. Dafür würden wir dann die Zeche zahlen.Zur Klage der Industrie über die zukünftige EU-Versteigerung von CO2-Zertifikaten:
Die Verunsicherung ist riesengroß. Es gibt große Ziele, aber wenig konkretes. Die Kommission versucht immer wieder gefasste Beschlüsse nachträglich zu verändern. (…) Das geht natürlich nicht. Ich erwarte auch, dass die beschlossenen Ausnahmen für die energieintensive Industrie eingehalten werden.Über Internetsperren:
Am Ende haben wir einen wirklichen Durchbruch für Bürgerrechte im Internet. Es ist bei Internetsperren nun keine blanke Willkür möglich. Internetsperren müssen begründet werden, entsprechende Entscheidungen müssen offengelegt werden und Betroffene haben die Möglichkeit dagegen vorzugehen. Wenn man überlegt, wo wir angefangen haben, ist das eine ungeheure Veränderung. Erst war gar keine Regelung im Bereich der Netzsperren vorgesehen. (…) Ich hoffe, die Netzaktivisten feiern als Erfolg, was wir im Parlament erreicht haben. Denn am Ende hat ihre Initiative sehr viel geschafft.
Über seine künftigen Themen-Schwerpunkte im Industrieausschuss:
Ich will eine Debatte zu den Stärken und Schwächen der europäischen Industrie. Was müssen wir tun, damit die europäische Industrie im Weltkonzert noch eine Rolle spielt? Das ist mein zentrales Anliegen.
Der zweite Punkt ist Forschung und Entwicklung. Wo sind die Schwächen des bisherigen EU-Forschungsplans? Wie können wir verhindern, dass Forschung im Elfenbeinturm stattfindet, sondern zu Innovationen führt? Wie können wir den bürokratischen Aufwand bei der Forschungsförderung verringern?Zur Frage, ob Belange kleinerer und mittlerer Unternehmen vorrangig berücksichtigt werden:
Wir reden ja im Parlament von nichts anderem als vom Mittelstand – von morgens bis abends. Die Wichtigkeit haben wir alle verstanden. Aber verändert hat sich nicht genug. Hier muss eine gründliche Revision gemacht werden, ob die Einzelmaßnahmen des Rahmenwerks „Small Business Act“ greifen.
Zu anhaltenden Klagen über zu viel Bürokratie:Die Klage wird bleiben.
Zur neuen deutschen Lissabon-Begleitgesetzgebung:
Die neuen Gesetze ändern schlagartig etwas und ich finde das großartig. Wenn die Kollegen in Berlin sich das nächste Mal beschweren: ‚was macht Ihr da in Brüssel?‘, werde ich sagen: ‚wieso habt Ihr Euch nicht früher gekümmert?‘ Dieses Meckern über Brüssel kann nicht mehr stattfinden. Der Bundestag kann und muss sich einmischen. Das war schon vorher seine Aufgabe, jetzt haben wir es noch mal schriftlich. Wenn dem Bundestag etwas wichtig ist, zum Beispiel was deutsche Regierungsbeamte in Brüssel entscheiden, dann soll er das endlich ins Parlament holen und thematisieren.
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