„Alles bekommt eine digitale Seele“
September 18, 2015 by osi
Erkenntnisse nicht aus den Medien, sondern von den Machern: Die Mitglieder des Marketing-Club Düsseldorf werden aus erster Hand informiert und machen sich selbst ein Bild. So hörten rund 100 Mitglieder des Clubs am Mittwoch von Christian Rätsch (Foto), dem CEO von Saatchi & Saatchi, wie er zu „Big Data“ steht und ob die Kreativität dadurch an Bedeutung verliert.
Stefan Arcularius, geschäftsführender Vorstand des Marketing-Clubs, zeigte sich hocherfreut, dass der Rätsch-Vortrag in den Räumen von „Saatchi & Saatchi“ so viele Mitglieder interessierte. Der Agentur-CEO wurde denn auch allen Erwartungen gerecht. „Wir erleben eine Technik-Explosion“, bewertete Rätsch den Paradigmenwechsel durch den Vormarsch des Digitalen und die Möglichkeiten von „Big Data“.
„Alles bekommt eine digitale Seele“, urteilte Rätsch. In einer Welt, in der mehr Menschen einen Internetanschluss besitzen, als sauberes Trinkwasser und mehr Menschen ein Handy besitzen, als eine Zahnbürste, ändere sich die Kommunikation dramatisch. Auch wenn man das am Produktionsstandort Deutschland nicht gerne höre, so Rätsch: Hardware werde immer irrelevanter, sie sei nur noch der Transporteur von Software. Und die läuft auf jedem technischen Gerät gleich.
Zum derzeitigen Strauß der Marketing-relevanten Paradigmenwechsel gehöre auch, dass Eigentum an Bedeutung verliere, stattdessen boomt das Sharing, nicht nur bei Autos, sondern wie etwa in Berlin sogar bei Gärten.
Rätsch‘ Thesen: Aus Kommunikation wird Interaktion, Werbung wird zu Service und der Kontakt zum Kunden wird zum Vertriebspunkt.
„Der CMO hat die Macht zurück“ urteilt Rätsch, bei ihm laufe durch die Digitalisierung inzwischen alles zusammen. Früher habe es noch viele Zwischenstufen zwischen der Produktidee und dem Kunden gegeben, dieser Abstand sei heute beseitigt. „Death of Distance“ nennt es der Experte, wenn der Kunde wie etwa bei Coca Cola durch die Bestellung einer Flasche mit seinem Namen direkt in den Produktionsprozess eines Unternehmens eingreift und mitbestimmt, wie sein Produkt aussehen soll.
Den Hype der gesamten Branche angesichts von „Big Data“, also der Möglichkeit dem Kunden ein passgenaues Angebot zu liefern, abgeleitet durch sein Kundenverhalten, sieht Christian Rätsch aus neuer Perspektive: „Weg von Big Data hin zu Big Inspiration“. Denn nach wie vor gelte es mit einem Produkt zu überzeugen, zu überraschen. Ohne eine zündende Idee nutze auch Big Data nichts. Hat man jedoch die Idee, wirke Big Data wie ein Booster.
Stolz berichtet Rätsch über eine Kampagne von Saatchi & Saatchi für den Kunden Toyota. Man hatte den unmöglichen erscheinenden Auftrag, in den USA, dem Homeland der Pick-Ups, ausgerechnet den Toyota Tundra als ur-amerikanisches Auto zu definieren. Rätsch: „Das schaffen Sie nicht durch Anzeigen“. Saatchi & Saatchi inszenierte stattdessen ein Spektakel – und ließ das amerikanische Space Shuttle „Endeavour“ nach seinem letzten Flug von einem Toyota Tundra ins Museum ziehen. Der Saatchi & Saatchi-Mann: „Die Menschen haben das fotografiert und die Fotos im Netz geteilt, es gab einen eigenen Hashtag #tundraendeavor und wir bekamen eine Milliarde kostenlose Impressions. Der Verkauf stieg nach der Aktion um 31 Prozent.“
Ein Unternehmen, das nicht interaktiv sei, breche mit seinem Produkt nicht mehr durch. Zwar seien Printanzeigen wie beispielsweise für Autos immer noch als Inspiration gut, man müsse den Kunden aber dazu bringen, nach einer Kampagne zu suchen, Freunde müssten es ihm empfehlen, man müsse den Kunden dazu bringen, im Netz darüber zu schreiben. Wenn beispielsweise Pepsi in den USA Automaten aufstellt, bei denen man nicht mehr mit Geld, sondern mit einem „Like“ bei Facebook bezahlt, dann sei das sozusagen Suchmaschinenoptimierung. Je mehr Likes, umso besseres Ranking bei Google.
Mit der Interaktion, so Rätsch, kommt auch die Individualisierung in die Branche. Der Name auf der Colaflasche oder auf dem Nutellaglas sei da nur der Anfang. Zahlreiche Produkte würden zukünftig direkt vom Kunden beeinflusst werden und individuell auf ihn abgestimmt. Was heute die Farben des Turnschuhs sind, ist morgen das Auto oder die Versicherung. Rätsch berichtet als Beispiel von der amerikanischen Kampagne „Drive like a girl“ – „Fahr wie ein Mädchen“ – eine Versicherung, die berücksichtigt, dass Frauen viel vorsichtiger fahren und weniger Unfälle bauen, ergo weniger bezahlen müssen. Solche Modelle würden auch in Deutschland erwartet. Rätsch. „Die Zukunft ist, dass von der Versicherung ein Chip unter der Motorhaube klebt, der das Fahrverhalten analysiert und den Beitrag entsprechend festsetzt – Frauen fahren eben anders“.
Ob so eine Kampagne an den diensthabenden Feministinnen in Deutschland vorbeikäme, ohne sofort eine neue Sexismus-Debatte auszulösen, wollten wir dann zum Abschluss noch wissen. „Dann lassen Sie uns doch darüber im Netz diskutieren“, grinste Rätsch, und man sah ihm sichtlich an, dass er sich auf die Zahl der kostenlosen Impressions bereits freut.
BiKe
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