Düsseldorferin ermittelt „Tatorte“ in der Wirtschaft

April 10, 2012 by  

Von Anke Winter

Sonntag war Tatort-Tag. Und Montag auch. Ohne Krimi geht die Mimi nie ins Bett… Doch ohne Schimi schaut die Mimi keinen Tatort mehr. Also schaue ich mich nach etwas zum Lesen um. Und finde: „Tatort Projekt“ von Jacqueline Irrgang. Mhm, ein „Fachbuch über Projekt-Management“… irgendwie nicht mein Metier … und „ein Enthüllungsroman zugleich“. Doch Klappentext sowie Kurzrezension einer Lektorin machen neugierig:

„In ihrem Buch zeigt Jacqueline Irrgang schonungslos auf, wie Geld verschleudert wird … und enthüllt, welche Mechanismen Projekte zum Scheitern bringen.“

Die Neugier siegt. Immer. Noch dazu lebt die Autorin in Düsseldorf, eine Mitbürgerin also…

Vorab: Was ist eigentlich ein „Projekt“? Per definitionem „ein einmaliges Vorhaben, das aus abgestimmten, gelenkten Tätigkeiten mit Anfangs- und Endtermin besteht und durchgeführt wird, um unter Berücksichtigung von Zwängen bezüglich Zeit, Qualität und Ressourcen ein Ziel zu erreichen.“ Steht nicht im Buch. Klar. Ist ja auch für Projekt-Manager. Die müssen das wissen. Steht aber im Netz. Und klingt klar. Für die, die’s nicht wussten.

Und um welches „Projekt“ geht es hier? Erstmal unklar. Die Autorin erzählt auf den ersten Seiten von sich.

Warum? Auch das erstmal unklar. Ich führe später dazu ein Gespräch mit Jacqueline Irrgang. Sie will: „den Leser abholen. Auch den, der nichts mit Projekt-Management zu tun hat. Denn letztlich geht es immer und überall um Menschen. Kunden, Mitarbeiter, Manager und Berater sind: ja, Menschen! Und eine Identifikation mit dem Buch und seinem Ziel kann nur über Authentizität erfolgen“, sagt sie.

Interessanter Gedanke dabei: das Leben an sich als „Projekt“ zu verstehen. Eben als ein „einmaliges Vorhaben. Aus abgestimmten, gelenkten Tätigkeiten mit Anfangs- und Endtermin. Unter Zwängen bzgl. Zeit, Qualität und Ressourcen. Und zum Zweck der Erreichung eines Ziels.“ Passt irgendwie: „Es gibt immer was zu tun – mach es zu Deinem Projekt – keiner spürt es so wie Du… Yippiejaja yippie yippie yeah“.

Also weiter im Text. Um welches Projekt geht es hier? Die Autorin versteht in den ersten Seiten ihres Tagebuchs „trotz ihrer langjährigen Berufserfahrung nicht viel.“ Der Leser also auch nicht… Und das „soll genau so sein“, wie Jacqueline Irrgang sagt. „Das Chaos, das in dem Projekt herrschte, soll unmittelbar von Anfang bis Ende nachempfunden werden können. So unklar die Aufgabenstellung und Verteilung, so groß das bearbeitende Projekt-Team, so irrwitzig die Vorgänge“, dass die Autorin „am liebsten gleich wieder ausgestiegen wäre“.

Der kommissarische Leser hat keinen Vertrag mit dem Buch und könnte folglich folgenlos dem Wunsch nach Ausstieg nachgehen… Aber: Gute Krimis lassen anfangs ja auch vieles offen. Wie ist der Tathergang? Wer ist das Opfer? Wer möglicher Täter? Was sind die Motive? Also: dranbleiben!

Es stellt sich heraus, dass das auftraggebende Unternehmen, genannt „Fasaria AG“ (übrigens das griechische Wort für „Unordnung“) einen zentralisierten User-HelpDesk/ein CallCenter für den eigenen Einkauf und den der Tochtergesellschaften einrichten will. Alle Anfragen und Bestellungen – vom Bleistift der Sekretärin bis zum Millionenauftrag an Lieferanten – sollen hierüber einheitlich per Anruf oder Email erfolgen können. Klingt nach einem großen Projekt. In dem SERVICE großgeschrieben werden soll. Und wie viele Service-Anfragen (genannt „Tickets“) sind da zu bearbeiten? Ca. 700 am Tag. Bei einer durchschnittlichen Bearbeitungszeit von 7,5 Minuten pro Ticket in diesem so genannten „First Level Support“ werden ca. 15 Mitarbeiter für das CallCenter benötigt, errechnet die Autorin. Klingt schon nicht mehr so groß…

Das Projekt-Team aus der eingekauften Consulting-Firma „Skata“ (wieder ein griechisches Wort…) sowie deren Sub-Unternehmen, Beratern, Projekt-Managern und Spezialisten hingegen umfasst bereits anfangs ganze 12 „Verantwortliche“. Und ständig kommen neue „Verdächtige“ zu diesem „Einsatzkommando“ dazu…

Hier beginnt auch der projektunerfahrene Leser zu ahnen, woher das Chaos rührt. Wer leitet hier eigentlich was? Am ehesten, so scheint es, die Beteiligten sich selbst und andere in die Irre und: in irre Kosten. Die eigentlichen Ziele: der Endkunde, ein besserer Service für diesen und letztlich eine dadurch verbesserte Wettbewerbsfähigkeit des Unternehmens, werden dabei völlig aus den Augen verloren.

Und genau hier sind wir beim Delikt. Oder gar „Kapital-Verbrechen“? Die Haupt-Anklagepunkte der Autorin dazu:

*„Service“ wird nur vordergründig betrieben und nicht als echtes Unternehmens- und Wettbewerbs-Merkmal kultiviert.

*Mit den in inhabergeführten Mittelstandsunternehmen geltenden Werten „Kunde“ und „Mitarbeiter“ betreiben große Kapitalgesellschaften ein „fatales outsourcing“.

Wer hat nicht schon in Serie erlebt, wie es ist, in der toten Warteschleife oder am Strang eines unqualifizierten, unmotivierten und nicht entscheidungskompetenten CallCenter-Mitarbeiters zu hängen und dabei Kündigungs- bis Mordgelüste zu entwickeln. Fachlich betrachtet muss das jedoch kein Problem eines a priori „fatalen outsourcing“ sein. Um wettbewerbsfähig zu sein, kann ein Unternehmen sich durchaus auf seine Kernkompetenzen besinnen und den „Kunden-Service“ einem anderen, eben darauf spezialisierten Unternehmen übertragen. Intern oder extern, entscheidend sind die Wertstellung, die das Projekt „Service“ einnimmt, und die Qualität, in der dessen Umsetzung und Monitoring betrieben werden.

Soweit stimmt auch die eigentliche „outsourcing-Gegnerin“ Jacqueline Irrgang im Gespräch zu. Aber die zugemessene Wertstellung und die angesetzten Qualitätsmaßstäbe werden von ihr bemängelt:

*Projekte zum Thema „Service“ werden auf mittlerer Führungsebene an Beraterfirmen übergeben, statt oberstes Vorstandsanliegen zu sein.

*Die Beraterfirmen und Beteiligten werden nicht nach veritablen Qualitätsmerkmalen ausgewählt.

*Eine vorherige, fundierte Analyse und projektbegleitende Einbeziehung der „Stakeholder“ (also derer, um deren Interessen es eigentlich geht) findet nicht statt.

*Intern und extern werden diese Projekte aus politischen und persönlichen Motiven aufgebläht.

*Zeitverschlingende Meeting- und Mail-Un-Kultur sind dabei probate Mittel.

*Das Vorhaben besteht also nicht aus abgestimmten, gelenkten Tätigkeiten mit Anfangs- und Endtermin. Zeit, Qualität und Ressourcen werden nicht beachtet. Das Ziel wird nicht erreicht.

*Das insgesamt verschlingt Unsummen, die der Kunde zahlt.

*Und denen am Ende des Tages auch das Unternehmen und seine Mitarbeiter zum Opfer fallen.

*Da die Hauptbeteiligten jedoch zu ihrem Vorteil partizipieren, finden sich keine Schuldigen.

*Da die anderen unwissend oder ungehört bleiben bzw. mundtot gemacht werden, finden sich keine Kläger.

*Und da im Gegensatz zu inhabergeführten Mittelstandsunternehmen der klassische, langfristig und generationsübergreifend denkende „Unternehmer-Geist“ auf Management- und Vorstands-Ebene von großen Kapitalgesellschaften nicht vorherrscht, würde sich ohnehin auch gar kein Richter finden.

*Konsequenz: „Das Verfahren gegen Unbekannt wird gar nicht erst eröffnet“. Und der nächste Unbekannte beginnt von vorn mit der sträflichen Kapital-Verschwendung.

Also doch: Ein echter Krimi. Den die Autorin da in sehr persönlichen Worten und mit weniger kriminalistischen Analogien verfasst hat, nachdem der Auftraggeber sich während des Projekts von ihr getrennt hatte. Weil sie – wie sie sagt – weder unwissend noch mundtot war und auch nicht ungehört bleiben will, wird sie zur Klägerin.

Mutig ist das – so als selbstständige Beraterin, deren Tatort Projekte sind.

Tatort Projekt – Wenn die Wahrheit das Geschäft stört

Jacqueline Irrgang; Taschenbuch, 256 Seiten, Wiley-VCH Verlag GmbH & Co. KGaA, 1. Auflage; ISBN: 3-527-506616; 16,90 Euro; ohne Portozuschlag bei: http://www.ccq.de/publikationen.html;  auch bei amazon und im Buchhandel

 

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