„Der Steuerbürger wird generalverdächtigt“
Mai 20, 2009 by osi
Wer politisch interessiert ist und Zeit hat, sollte sich diesen Beitrag der Düsseldorfer Rechts- und Steuerexperten Dr. Joerg Andres und Dr. Carlo Borggreve, Beirat der Düsseldorfer Advocatax, zu Gemüte führen. Steuerberater sollten ihn auf jeden Fall lesen. Die Abhandlung skizziert, mit welcher Unverfrorenheit und Dreistigkeit das gezielte Abkassieren und die weitere Entmündigung der Bürger verfolgt werden.
Von Dr. Carlo H. Borggreve und Dr. Joerg Andres
Die Bundesregierung hat, wie angekündigt und von vielen befürchtet, den Entwurf eines Steuerhinterziehungsbekämpfungsgesetzes (Gesetz zur Bekämpfung schädlicher Steuerpraktiken und der Steuerhinterziehung) verabschiedet. Schon für den 25. Mai 2009 ist eine Anhörung im Finanzausschuss des Deutschen Bundestages terminiert worden; denn das Gesetz soll nach dem Willen der Koalition noch vor der Sommerpause verabschiedet werden um dann bereits am Tage nach der Verkündung in Kraft zu treten.
Auch nach einigen kleineren Modifikationen gegenüber den beiden Vorfassungen bleibt der ungute Eindruck:
Das deutsche Steuerrecht wird nicht vereinfacht, und Bürokratie wird nicht abgebaut. Stattdessen geht die Bundesregierung den umgekehrten Weg: der Steuerbürger wird generalverdächtigt und an die Kandare fiskalischer Sanktionen gelegt.
Die Fiskalisten haben die dramatischen Auswirkungen der Weltfinanzkrise und die unrühmliche Rolle, die dabei zahlreiche Finanzinstitute mit intransparenten Produkten gespielt haben, zum Anlass eines Rundum-schlages genommen, der am Ende alle Bürger mit Vermögensanlagen so-wie international tätige Klein- und Mittelbetriebe treffen wird – die Finanzjongleure möglicherweise wieder einmal gar nicht. Diese hatten für ihre Finanzakrobatie in der Tat die steuer- und insbesondere bankenaufsichtsrechtlich sehr lockeren Rahmenbedingungen bestimmter Standorte ausgenutzt. Diese gelten seitdem alle als Oasen, und damit die Schweiz, Luxemburg, die Antillen und – wenn auch irrtümlich – Burkina Faso.
Verkomplizierung und Verschärfung des Steuerrechts
Es ist eine bedenkliche Entwicklung im deutschen Steuerrecht festzustellen.
Die Steuergesetze stellen Regeln auf, die von jedermann einzuhalten sind. Je komplexer und komplizierter sie sind, desto schwieriger und umstrittener gerät das. Steuerhinterziehung ist dabei ohne Zweifel ein Delikt. Es muss wie jedes andere verfolgt und geahndet werden. Nicht mehr und nicht weniger.
Die zuständigen Behörden haben dazu die nötigen rechtlichen Mittel zur Hand. Die Erfahrung hat gezeigt, dass gerade die Kombination von steuerlichen Nachweis- und Mitwirkungspflichten einerseits und strafprozessualen Zwangsbefugnissen andererseits häufig zu einer Effektivität des Vorgehens der Strafverfolgungsbehörden führt, die in „normalen“ Strafverfahren – leider – nicht erzielt wird.
Deshalb müssen die populistischen Verschärfungen des Gesetzes in diesem Bereich aus verfassungs- und steuerrechtlicher Sicht in Frage gestellt werden. Eine weitere Verschärfung des Steuerrechts ist alles andere als sinnvoll.
Denn mehrere dieser Gesetze sind in den letzten Jahren bereits verschärft worden, wobei die Verfassungsmäßigkeit wiederholt fragwürdig erschien. Die Effektivität hat dabei auch nicht wirklich zugenommen, wenn man etwa an die Neuregelung der „schweren Steuerhinterziehung“ denkt, die gesetzgeberisch mehrfach korrigieren werden musste. Erst kürzlich wurde die Verjährungsfrist für Steuerhinterziehung auf 10 Jahre verlängert, von der Fachleute bezweifeln, ob sie rechtlich einwandfrei ist und ob sie überhaupt den Effektivitätsgewinn erbringen wird, den man sich davon offiziell versprochen hatte.
Bedenklich überzogene Mitwirkungspflichten
Nach einem neu gefassten § 90 Abs. 3 S. 3 und 4 AO sollen Steuerpflich-tige demnächst einen amtlichen Vordruck erhalten mit Fragen über Art und Inhalt der Geschäftsbeziehungen, wenn bei ihnen Anhaltspunkte für Geschäftsbeziehungen zu Finanzinstituten in Staaten oder Gebieten vor-liegen, mit denen kein umfassender Auskunftsaustausch entsprechend Art. 26 des Musterabkommens der OECD durchgeführt werden kann. Die An-gaben sind eidesstattlich zu versichern, und die beteiligten Kreditinstitute von der Verschwiegenheitspflicht zu befreien. Weigern sie sich, können Ordnungsgelder festgesetzt werden und nach einem neuen § 162 Abs. 2 S. 3 AO Schätzungen erfolgen, weil vermutet wird, dass sie über Kapitaleinkünfte im Ausland verfügen.
Bei alledem ist kein begründeter Verdacht erforderlich. Es genügt schon, wenn aufgrund von Anhaltspunkten oder allgemeinen Erfahrungen eine weitere Aufklärung des steuerlichen Sachverhalts angezeigt ist.
Die Regelung zum Ordnungsgeld ist als verfassungswidrig einzustufen. Denn die vermuteten ausländischen Kapitaleinkünfte führen zwangsläufig schon zum Anfangsverdacht der Steuerhinterziehung. Durch ein Ord-nungsgeld würde der betroffene Steuerpflichtige gleichzeitig gezwungen, sich selbst zu belasten. Das kann nach den Grundsätzen verfassungskon-formen bzw. rechtsstaatlichen Strafverfahrensrechts nicht zulässig sein. Die Regelung dürfte auch leer laufen, da nach der Rechtsprechung zum verfassungskonformen Strafverfahrensrecht jeder Betroffene schon nach seinen garantierten Grundrechten die von ihm unter Zwangsandrohung verlangten Angaben unter Hinweis auf eine mögliche Selbstbelastung verweigern kann. Das verdeutlicht auch § 393 Abs. 1 Satz 2 AO mit dem dort enthaltenen Grundsatz des „nemo-tenetur“.
Stark erweiterte Aufbewahrungs- und Dokumentationspflichten
Ein neuer § 147 a AO soll steuerpflichtige Privatanleger, die bislang nicht zu umfassenden und detaillierten Aufbewahrungspflichten nach Art von Geschäftsbüchern verpflichtet waren, mit inhaltlich entsprechenden Auflagen belegen, wenn sie Einkünfte in Höhe von mehr als 500.000,- € / Kalenderjahr haben.
Solche Art Mitwirkungs- und Steuerverwaltungspflichten sind völlig unverhältnismäßig und deshalb auch verfassungswidrig. Unwahre Angaben gegenüber der Finanzverwaltung sind bereits jetzt strafbewehrt. Eine zusätzliche Sanktion ist nicht erforderlich. Konsequente Steuerhinterzieher werden sich dadurch ohnehin nicht abschrecken lassen. Das Entdeckungsrisiko steigt dadurch für den Täter ebenso wenig wie die Strafdrohung: Die – vom Staat unnötig provozierte – weitere Straftat fällt neben der Steuerhinterziehung nicht ins Gewicht. Die Regelung ist insgesamt ungeeignet, um irgendwelche Aufklärungserfolge zu erzielen.
Im Übrigen läuft ein solcher Steuerbürokratismus auch dem Ziel zuwider, Steuerveranlagungen zeitnah abzuschließen und zu erledigen, ein Ziel, das von vielen Steuerpolitikern immer wieder öffentlichkeitswirksam – im Kern auch durchaus zu Recht – betont wird.
Versagung steuerlicher Rechtspositionen
Der Geschäftsverkehr mit unkooperativen Ländern sowie die dortige Geld-anlage sollen erschwert und auf diese Weise „Steueroasen ausgetrocknet“ werden.
Dazu soll der Abzug von Betriebsausgaben und Werbungskosten einge-schränkt oder ganz versagt oder von der Erfüllung erhöhter Nachweis-pflichten abhängig gemacht werden, wenn entsprechende Zahlungen an Personen oder Vereinigungen mit Sitz oder Geschäftsleitung in einem an-deren Staat geleistet werden, mit dem kein umfassender Auskunftsaus-tausch nach den Standards der OECD möglich ist. Es geht hierbei um Länder, die sich nicht an die in Artikel 26 des OECD Musterabkommens fest-gelegten Kriterien für steuerliche Transparenz und Zusammenarbeit der Finanzbehörden halten. Dabei enthält der Gesetzentwurf eine Reihe von neuen Kontrollen, Beschränkungen, Nachweispflichten und Sanktionen.
Nach einem neuen § 51 Abs. 1 Nr. 1 EStG und einem neuen § 33 Abs. 1 KStG kann die Finanzbehörde ausländischen Gesellschaften die Entlastung von Kapitalertragsteuer oder Abzugsteuer gem. § 50d Abs. 1 und 2 EStG ganz oder teilweise versagen, wenn an der ausländischen Gesellschaft Personen oder Personenvereinigungen beteiligt sind, deren Sitz oder Ge-schäftsleitung sich in einem Staat ohne Auskunftsaustausch befindet. Die Anwendung der Regelungen zur Abgeltungsteuer und das Teileinkünfteverfahren werden ganz oder teilweise ausgeschlossen, sofern die Einnah-men von Gesellschaften aus solchen Staaten bezogen werden. Sofern Dividenden unmittelbar oder mittelbar aus solchen Staaten zufließen, wer-den sie von der Steuerbefreiung nach § 8b Abs. 1 und 2 KStG bzw. dem maßgeblichen Doppelbesteuerungsabkommen ganz oder teilweise ausgeschlossen. Dadurch soll einerseits den eingeschränkten Ermittlungsmöglichkeiten der Finanzbehörden Rechnung getragen und andererseits der Anreiz für den jeweiligen Staat erhöht werden, mit Deutschland effektiven Auskunftsaustausch zu vereinbaren.
Hiergegen bestehen schwerwiegende Bedenken:
Das beginnt schon mit dem tatbestandlichen Ziel der Bekämpfung „schäd-licher Steuerpraktiken“. Hier stellt sich nicht nur die Frage, was denn sol-che Praktiken sein sollen, zumal die Voraussetzungen für einen Besteue-rungstatbestand nach deutschem Verfassungsrecht dem besonderen Klarheits- und Vorhersehbarkeitsgebot unterliegt und damit Blankettvor-schriften ausschließt. Vor allem aber kann es im rechtsstaatlichen Steuer-echt nur rechtmäßige oder unrechtmäßige Steuerpraktiken geben. Rechtmäßige Gestaltungen, auch wenn sie das deutsche Steueraufkommen be-schränken und damit aus fiskalischer Sicht wohl „schädigen“, dürfen gleichwohl nicht sanktioniert werden. Es ist verfassungsrechtlich mehr als bedenklich, schon aufgrund vager Annahmen von Finanzbeamten so weit reichende und belastende Änderungsmöglichkeiten wie die vollständige Versagung des Werbungskostenabzugs oder die Nichtanwendung des Teileinkünfteverfahrens zu ermöglichen. Solche Eingriffe müssen im Steuerrecht allein dem Gesetzgeber vorbehalten bleiben und in konkreten Gesetzestatbeständen enthalten sein. Noch viel gravierender aber ist, dass auf solche Normen zugleich ein strafrechtlicher Vorwurf im Rahmen des § 370 AO (Steuerhinterziehung) aufgebaut werden kann. Spätestens an dieser Stelle ist nachdrücklich auf den Gesetzesvorbehalt aus Art. 80 Abs. 1 Satz 2 GG zu verweisen.
Umsetzung durch Rechtsverordnung
Die Funktionsverlagerungsregelung hatte bereits gezeigt: Es wird offenbar jetzt zunehmende Praxis des Steuergesetzgebers, die Ausgestaltung des Steuerrechts im Wege der Rechtsverordnung nach Art 80 Grundgesetz dem Finanzminister zu überlassen. Der Grundgesetzgeber hatte aber die-ses Instrumentarium als Ausnahmefall für besondere Anlässe gedacht. Schon gar nicht hatte er zulassen wollen, was im Fall des Steuerhinterziehungsbekämpfungsgesetzes geplant ist: Der deutsche Fiskus will sich die Möglichkeit zur konkreten Ausgestaltung künftiger besonderer Mitwir-kungs- und Dokumentationspflichten als Drohung gegen auskunftsunwilli-ge „Oasen-Staaten“ vorbehalten. Er nimmt also zur Gefügigmachung anderer Staaten die eigenen Bürger in „Geiselhaft“ – ein bislang einzigartiges Beispiel gesetzgeberischer Irrwege.
Verstoß gegen Grundfreiheiten des Vertrages über die Europäische Ge-meinschaft
Der Gesetzentwurf differenziert nicht zwischen Mitgliedstaaten und Dritt-staaten. Zudem schränkt er die Kapitalverkehrsfreiheit innerhalb der Gemeinschaft in einer unverhältnismäßigen Weise ein, die wohl kaum zur Wahrung des übergeordneten und überwiegenden Allgemeininteresses der gesamten Gemeinschaft notwendig ist.
Fazit:
Der jetzt vorliegende Gesetzentwurf des Steuerhinterziehungsbekämp-fungsgesetzes führt – wenn er denn in dieser Form Gesetz werden sollte – zu einer weiteren Verkomplizierung und Verschärfung der in Deutschland geltenden Steuervorschriften.
Da er bestimmte Steuerpflichtige von vornherein unter einen Generalverdacht stellt und diese zudem faktisch zwingt, auch zum eigenen Nachteil bestimmte Umstände offenzulegen, begegnet dieser Gesetzentwurf nicht nur auf der Tatbestands-, sondern insbesondere auch auf der Rechtsfol-genseite erheblichen rechtsstaatlichen Bedenken.
Wem aber nützt ein derart bedenkliches Gesetzesvorhaben, wenn es am Ende von der Rechtsprechung an geltendem Verfassungsrecht gemessen und verworfen werden muss?
Zu den Autoren:
Dr. Carlo H. Borggreve war zunächst als Sachgebietsleiter in der Finanzverwaltung und anschließend als Referent im Bundeswirtschaftsministerium tätig. Nach einer Station als Zentralbereichsleiter Steuern und Bilanzen eines namhaften Montankonzerns verantwortete er ab 2004 den Bereich Steuern bei einem renommierten Versicherungskonzerns im Rheinland.
Bereits seit Mitte 2007 war er als Partner einer Wirtschaftskanzlei in Dortmund mit Beratungsschwerpunkt im Gesellschafts-und Unternehmenssteuerrecht sowie Steuerverfahrensrecht tätig und ist Beirat der ADVOCATAX Steuerberatungsgesellschaft mbH, Düsseldorf. (www.advocatax.de). Er ist Dozent für internationales Steuerrecht an der RFH Köln und Mitglied des Steuerfachausschusses des DIHT (Deutscher Industrie- und Handelskammertag), Berlin.
Dr. Joerg Andres ist Rechtsanwalt, Fachanwalt für Steuerrecht, Steuerbe-rater und Geschäftsführer der ADVOCATAX Steuerberatungsgesellschaft mbH (www.advocatax.de), Düsseldorf. Er war zudem langjährig als Justitiar und Personalchef beim größten in Deutschland ansässigen Werbe- und Kommunikationsagenturkonzern an gleicher Stätte tätig und engagiert sich ehrenamtlich im Vorstand des Marketing Club Düsseldorf. Er ist spezialisiert auf die Bereiche Gesellschaftsrecht, Erbrecht und steuerlich veranlasste Streitigkeiten sowie deren Vermeidung einschließlich Steuerstrafrecht. Zudem ist er langjähriger Buchautor beim C.H. Beck Verlag und Dozent für Vertragsgestaltung und Verhandlungsführung an der RFH Köln.
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