Bravo, Helmut Marktwort: Focus-Chef bricht eine Lanze für Meinungsfreiheit und Gesprächskultur im TV

Oktober 15, 2007 by  

helmutmarkwort.jpg

Helmut Markwort

Das Schöne an der Lektüre des Focus ist, dass spürbar ist, dass in der Redaktion statt der Political Correctness der gesunde Menschenverstand den Ton angibt und niemand auf Lob derjenigen aus ist, die sich die Deutungshoheit in diesem Land anmaßen.

So auch in der Causa Eva Herman. Ja, noch mal Eva Herman auf diesem Blog, denn es geht gar nicht um sie sondern um Stil, Toleranz und Political Correctness. Ein Zeichen setzt der oberste Journalist des Burda-Verlages, Helmut Markwort, Focus-Erfinder, -Herausgeber und -Chefredakteur.

Im „Tagebuch“ der heutigen Ausgabe schreibt Helmut Markwort:

„Die schlimmste Form der öffentlichen Ächtung in unserer Mediengesellschaft ist der Rauswurf aus einer Talkshow.

Johannes B. Kerner hat das Verfahren im ZDF an seiner Ex-Kollegin Eva Herman praktiziert und sie – ermuntert von den anderen Gästen – aus dem Studio gewiesen. Die Mehrheit der Zuschauer empört sich darüber, wie Umfragen belegen. Nicht weil sie unbedingt die familienpolitischen Ansichten der überforderten Buchautorin Herman teilen, sondern weil sie die spektakuläre Verletzung des Gastrechts als ungerechte Demütigung empfinden. Kerner wollte unbedingt eine öffentliche Abbitte von Eva Herman erreichen, was von den Aufgaben eines Moderators weit entfernt ist.

Viele andere Alternativen hat er ausgelassen. Er hätte sie gar nicht einzuladen brauchen. Er hätte sie reden lassen können, ohne sie zu kujonieren. Er hätte sich früher seinen anderen Gästen zuwenden können. Aber lieber brachte er, wie Henryk M. Broder schrieb, eine Kanone in Stellung, um einen Spatz abzuknallen. Für dieses falsche Pathos hatte das Publikum das richtige Gefühl.“

In der vierseitigen Story im Innenteil geht Focus-Autor Michael Klonovsky beim Thema Herman ans Eingemachte. Auszüge:

„Kerner hat die Geschmähte schon einmal, gewissermaßen nach der ersten Beleidigungswelle, zu sich in die Sendung gebeten, dann aber wieder ausgeladen. Nunmehr konnte der Moderator sicher sein, dass es ungefähr ähnlich viel Mut erfordern würde, diese Frau final vorzuführen, wie eine angepflockte Antilope mit der Pumpgun zu erlegen.“

„Trotzdem wurde das Rufmordritual durchgespielt, einzig um jemanden zu erledigen, der etwas anderes meint, als es der aktuelle Zeitgeist gebietet.“

„In Gestalt einer simplen und ungeschickt agierenden Ex-TV-Moderatorin verkörpert sich eine Grundsatzfrage hiesigen Selbstverständnisses: Wie lange soll Hitler noch eine Hauptrolle in der deutschen Innenpolitik spielen? Ist ein Punkt der Vergangenheitsfixierung erreicht, bei dem, wie Friedrich Nietzsche schrieb, „das Lebendige zu Schaden kommt, und zuletzt zugrunde geht, sei es nun ein Mensch oder ein Volk oder eine Cultur“? Ist in irgendeinem anderen demokratischen Land der Welt zu diesem Thema ein derartiges Tribunal denkbar, bei dem der Moderator zudem bekundet, es sei ihm egal, ob sich das eigene Volk fortpflanzt oder ob es der Chinese tut? ‚Ich verstehe nicht, dass der Intendant des ZDF nicht an sich runterkotzt, wenn er das sieht‘, sagte Harald Schmidt über Kerners komplett scham- und pietätfreie Berichterstattung vom Erfurter Schulmassaker anno 2002. Vielleicht klappt’s ja diesmal.“

Erfrischende Töne und ideologisch unverbrämter Klartext. Lesen Sie die komplette Story (nicht online) im Focus von heute und dazu, was an Unsinn über Gesundheit verbreitet wird („44 große Gesundheitsmythen“). Auch das lohnt sich.

Nachtrag, 16. Oktober: BILD hat Eva Herman interviewt. Text hier.

Kommentare