Ex-Minister Wolfgang Clement im Industrieclub Düsseldorf: Ein leidenschaftliches Plädoyer für mehr Reformen

April 19, 2007 by  

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Viel Applaus im Industrieclub: Wolfgang Clement 

Als leidenschaftlicher Reformer präsentierte sich heute Ex-Wirtschaftsminister und -NRW-Ministerpräsident Wolfgang Clement bei einem Vortrag im Industrieclub, dessen Mitglieder ihm mit lang anhaltendem Applaus Zustimmung bezeugten. Clement plädierte engagiert für eine Verstärkung der Reformbemühungen in Deutschland und mahnte eine enge wirtschaftliche Allianz zwischen Europa und den USA an. „Wir brauchen einander in dieser multipolaren Welt, Eine Art NATO auf ökonomischem Gebiet muss es ja nicht sein, aber wir müssen zusammenstehen.“

Für Atomkraft und Braunkohle

In einer wirtschaftlichen Tour d’Horizont setzte Clement den weltweiten Wirtschaftsboom in Bezug zur Lage in Deutschland und warnte, dass in Europa Risiken unterschätzt würden. Clement gewann die Gäste des Business Luncheons mit dezidierten Äußerungen zu teilweise umstrittenen Themen. So sprach er sich für eine Föderalismusreform, intensiven Bürokratieabbau, die deutliche Intensivierung der Bildungs- und Qualifizierungsanstrengungen sowie für die Beibehaltung der Atomkraft, für Gorleben und die intensive Nutzung der Braunkohle aus. Auch die alternativen Energien seien ohne die herkömmlichen nicht denkbar.

Ohne demokratische Legitimation“ 

Mit Blickrichtung EU kritisierte er, es sei „ein Unding, dass wir mehr als 40 Prozent des EU-Budgets in die Landwirtschaft investieren statt in Wissenschaft und Forschung.“ Die EU müsse sich für landwirtschaftliche Produkte öffnen und Subventionen abbauen. Derzeit gebe Brüssel „ohne demokratische Legitimation Milliarden für die Landwirtschaft“ aus. Er bezog sich auf eine kürzliche sehr EU-kritische Veröffentlichung von Ex-Bundespräsident Roman Herzog, der darauf hingewiesen habe, dass „86 Prozent der Verwaltungs- und Rechtsvorschriften in Deutschland heute auf die EU zurückgehen und befand: „Eine EU-Verfassung mit 488 Paragraphen kann man dem Bürger nicht anbieten.“

Wagenburg-Mentalität

Der Ex-Minister bezeichnete die Globalisierung als „den weitreichendsten Umbruch seit der industriellen Revolution.“ Er kritisierte scharf, dass in Deutschland immer noch eine Wagenburg-Mentalität herrsche: „Wir glauben, uns schützen zu können, anstatt offensiv zu sein als eine der stärksten Volkswirtschaften.“

Der Ex-Minister, der heute dem Adecco Institute des weltgrößten Personal-Dienstleisters Adecco vorsteht, über:

  • Die Konjunktur: „Der Boom ist weltweit und es spricht einiges dafür, dass er anhält. Dennoch drohen Risiken und gewisse Herausforderungen, die in Europa unterschätzt werden.“ Das Wirtschaftswachstum sei erfreulich höher als angenommen, doch es habe Zeiten gegeben, da wäre das aktuelle Wachstum als krisenhaft gesehen worden. Gerhard Schröder, verriet er, habe ihn seinerzeit „immer wieder bedrängt, die Gutachten abzuschaffen.“
  • Föderalismus: „Wir brauchen eine wirkliche Föderalismus-Reform. Wir haben derzeit vier Ebenen, die Gesetze erlassen – Kommunen, Land, Bund und EU. Ich glaube nicht, dass wir die Struktur der Länder so erhalten können. Bürokratiereform: „Mit der Bürokratiereform sind wir gescheitert.“ Er selbst habe „vielleicht ein Drittel von dem erreicht, was ich erreichen wollte.“
  • Arbeitsmarkt: „Die Arbeitsmarktreform war nicht völlig daneben.“ So verhielten sich etwa die Bundesagentur für Arbeit und deren Chef Weise unternehmerisch. Deutschland müsse stärker aus der „Verteidigungs- und Verkrampfungshaltung heraus“. Über den Mangel an qualifizierten Mitarbeitern: „Wir diskutieren über Schutzrechte, wir müssen in Qualifizierung investieren.“ Indien sei hier beispielgebend und auch China verstärke bereits die Bildungsanstrengungen. Die Zeitarbeit müsse einen wichtigeren Raum einnehmen. Hier werde bereits ein hohes Potenzial an qualifizieren Arbeitskräften beschäftigt. Clement: „Wenn sie bei EADS entlassen werden, gehen sie zu Rolls Royce, die finden überall einen Job.“
  • Energie: Die derzeitige Energiepolitik sei ein Durcheinander und die Möglichkeiten würden nicht genutzt. Clement: „In der Braunkohle haben wir einen Energieträger, der auf 200 Jahre sicher ist. Wir können heute Braunkohle zu weltmarktfähigen Preisen vergasen und Co²-arm verbrennen.“ Die Klimaschutz-Debatte sei „enorm ideologisiert.“ Und: „Ohne Atomkraftwerke geht es nicht, da denke ich heute anders als früher.“
  • Wissenschaft und Bildung: „Wir investieren 50 Prozent des Haushalts in Dinge, die wir aus der Vergangenheit mitbringen statt in Wissenschaft und Bildung.“ In punkto Bildung habe der Bund de facto nichts zu sagen. Bundesländer wie Bremen und Saarland könnten die Vermittlung der erforderlichen Bildung nicht gewährleisten.
  • Über die Bundesregierung: „Die Bundesregierung ist derzeit das Stabilste, was es in Europa gibt.“
  • Über Russland: „Russland hat Öl, Gas, um es einfach zu sagen, alles was wir nicht haben. Wir dagegen haben Technologie und sind für Russland ein wichtiger Markt. Eine geordnete und verlässliche Beziehung mit Russland ist wichtig.“ Doch die Freiheitsrechte in Russland könnten „uns nicht gleichgültig sein.“
  • Gesundheitssektor: „Wir müssen investieren und den Markt aufmachen – für Biotechnologie, Stammzellen, Gentechnik.“

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