Litvinenko-Mord: Scotland Yard-Ermittler dürfen Verdächtige in Moskau nicht allein verhören
Dezember 6, 2006 by osi
Eine Gruppe britischer Fahnder hat in Moskau Ermittlungen im Fall des vergifteten Ex-Spions Alexander Litvinenko aufgenommen. Die russischen Behörden kooperieren nur bedingt. So teilte der russische Generalstaatsanwalt Yuri Tschaika heute laut der britischen Zeitung “Guardian” mit, dass Verdächtige nicht nach Großbritannien ausgeliefert würden.
Eine Befragung der Führungsspitze des Geheimdienstes FSB schloss Tschaika kategorisch aus. Die Scotland Yard-Mitarbeiter dürften Zeugen auch nicht eigenständig vernehmen, melden mehrere Quellen. Die russische Gesetzgebung verhindere die Auslieferung an Großbritannien, russische Verdächtige müssten sich vor russischen Gerichten verantworten.
Die Scotland Yard-Polizisten wollen Russen vernehmen, die mit Litvinenko am Tag seiner Vergiftung zusammengetroffen waren. Ein wichtiger Zeuge steht für die Befragung womöglich nicht zur Verfügung: der Unternehmer frühere KGB-Mann Andrej Lugowoj und seine Familie wurden überraschend ins Krankenhaus gebracht. Der russische Generalstaatsanwalt will die Befragung vom Urteil der Ärzte abhängig machen. In Lugowojs Londoner Hotelzimmer und in der Maschine von British Airways, in der er von Moskau nach London geflogen war, hatten Ermittler Spuren von Polonium 210 gefunden.
Während Scotland Yard vor Tagen bekannt gegeben hatte, die Spuren des Stoffes nach Moskau zurück verfolgen zu können, sagte jetzt der Generalstaatsanwalt Russlands, dies könne ausgeschlossen werden. In den genannten Atomanlagen werde diese Substanz gar nicht hergestellt.
Englands Regierungschef Tony Blair hatte zuvor seiner Erwartung Ausdruck gegeben, dass „keine politischen oder diplomatischen Barrieren der Untersuchung im Wege stehen dürfen“.
Todesbrigade
Der russische Staatsanwalt will die Verdächtigen von der russischen Justiz befragen lassen – in Gegenwart von Scotland Yard. Einen womöglich sehr wichtigen Zeugen darf Scotland Yard nach mehrere Berichten nicht befragen: den früheren Sicherheitsoffizier Mikhail Trepaschkin, der eine vierjährige Strafe wegen Weitergabe von Staatsgeheimnissen verbüßt. Trepaschkin hatte in einem Schreiben aus dem Gefängnis Litvinenko vor einer von der Regierung sanktionierten Todesbrigade gewarnt, die ihn andere Kreml-Gegner töten wolle. Diese Aussage wies der russische Generalstaatsanwalt als „Unsinn“ zurück. Wenn jedoch substantielle Fakten in dieser Verbindung entdeckt würden, werde man erwägen, die Vernehmung Trepaschkins zu gestatten.
Unterdessen geht der frühere Regierungschef Russlands (unter Jelzin) Jegor Gaidar davon aus, dass er gleichfalls vergiftet wurde. Der Ex-Politiker war kürzlich bei einer Konferenz in Irland zusammengebrochen. Sein Krankheitsbild passe zu keiner bekannten Krankheit. Nachdem zuletzt mehrere Banker und der Vizechef der russischen Zentralbank Opfer von Auftragsmorden in Russland wurden, ist heute erneut jemand von Killern erschossen worden: der Geschäftsmann Alexander Samojlenko, der ein Unternehmen des Rüstungsmultis Rosoboronexport leitete.
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