WAZ New?
November 25, 2006 by osi
„on ruhr“-Titelseite von gestern
Uwe Knüpfer war einige Jahre Chefredakteur der Westdeutschen Allgemeinen Zeitung – angetreten als Tiger, gelandet als Bettvorleger. Den Dampfer WAZ, Deutschlands größte Regionalzeitung, wollte er zum Schnellboot machen. Weil das nicht gelang, heißt der WAZ-Chefredakteur jetzt Ulrich Reitz und Uwe Knüpfer macht ihm nun trotzig Konkurrenz – im Internet. on ruhr heißt seine just gestartete Online-Tageszeitung. Es ist bedauerlich für seine weitere Entwicklung, dass er auch damit scheitern wird. Dafür hat er gleich in mehrfacher Hinsicht Vorsorge getroffen:
- Er überträgt die Struktur der gedruckten Tageszeitung ins Internet, was prima vista clever erscheint, da er an gelernte Lesegewohnheiten anknüpft. Wenn er jedoch rund 40 „Lokalteile“ und die klassischen Rubriken anbietet, hat er ein Problem. Denn es wird etwas Erstaunliches passieren: Die Leser werden hineinklicken, feststellen, dass entweder keine oder unbefriedigende/inaktuelle Inhalte hinterlegt sind und verärgert wegklicken. Eine Redaktion in jeder Stadt kann sich „on ruhr“ vermutlich nicht leisten, weshalb die News wohl zentral erfasst und bearbeitet werden müssen. Die kostengünstige Mithilfe der Leser, auf die sogar Tageszeitungen zunehmend als „Leserreporter“ zugreifen, hat Knüpfer ausgegrenzt – er produziert die Zeitung im umständlichen pdf-Format. Das ist ein deutlicher Verlust an Schnelligkeit und verhindert das unmittelbar Interaktive. Die „Weblog-Technik“ will Knüpfer allerdings auch einsetzen, nur nicht beim Kernprodukt.
- Die Festlegung auf die Vielzahl von Rubriken, wie bei der Tageszeitung üblich, legt „on ruhr“ damit ein einengendes Korsett an. So liefern die „Lokalteile“ derzeit nur im Ausnahmefall Inhalte und auch bei einigen der klassischen Rubriken ist nichts hinterlegt. Leser, auch Online-Leser, mögen so etwas nicht.
- Während der Blog durchgängige Aktualisierung erlaubt und News nahezu in Sekundenschnelle online stellen kann, braucht Knüpfers „on ruhr“ bei gegebenem Anspruch und gewählter Technik erstens mehr manpower und zweitens mehr Zeit. Da Inaktualität im Internet so giftig ist wie die dem Ex-KGB-Agenten in London verabreichte Todespille, fragt man sich also: WAZ New?
- Die Themenauswahl bei „on ruhr“ läßt gähnen. Dies gilt für die gestrige Ausgabe ebenso wie für die von heute, Samstag. Den Kampf um meine Aufmerksamkeit hat Uwe Knüpfer damit bereits verloren. Die „on ruhr“-Schreibe staubt, ist trocken wie Knäckebrot.
HIER legt Knüpfer seine Philosophie dar, die meines Erachtens durchaus nachvollziehbar ist, betriebswirtschaftlich jedoch der Entwurf eines Siebes. Die mächtige WAZ-Gruppe hat die wirtschaftliche Stärke, ihn locker in den Senkel zu stellen. Schon vor Monaten heuerte Ulrich Reitz eine Bloggerin als Chefin des Online-Auftritts WAZLive an: Katharina Borchert. Bis Jahresende sollen alle Redaktionsorte der WAZ von Bloggern befeuert werden. Hört sich an, als könnte was draus werden. Vorteil der WAZ ist das gewaltige so genannte Cross-Marketing-Potential. Die große WAZ wird das Internet-Schnellboot WAZLive den Lesern schon ans Herz legen und Synergieeffekte nutzen, als Basis die Verwertung von Infos für Print und Online.
Etwas Gutes (und damit für Print-Häuser prinzipiell Gefährliches) hat „on ruhr“: Es ist kostenlos.
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